Förderschwerpunkt:
Komplement/Humorale Immunität

Ab 2023 fördert die Stiftung ein gemeinsam vom Stifter (Prof. Dr. Reiner Müller-Peddinghaus) und dem ehemaligen Direktor des Instituts für Pathologie der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Universitätsprofessor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Baumgärtner, PhD, definiertes Forschungsgebiet mit dem Fokus auf das Komplementsystem als Teil der humoralen Immunität.

Die humorale und die zelluläre Immunität bilden die zwei zentralen Teile der spezifischen Immunantwort. Bei der humoralen Immunität werden unter der Kontrolle der zellulären Immunantwort Antikörper gebildet. Diese erkennen ihr Antigen (Viren, Bakterien etc.) und aktivieren dabei eine Enzymkaskade, die einerseits direkt auf den Immunkomplex einwirkt und Zellen zerstören kann und gleichzeitig hoch wirksame entzündliche Reaktionen auslöst (Anaphylatoxine).

Die humorale Immunantwort mit ihrer proteolytischen Enzymkaskade, dem Komplementsystem, ist zum einen wegen ihres therapeutisch schwierigen Zugangs und zum anderen wegen der Dominanz der zellulären Immunität seit ihrer Beschreibung vor ca. 50 Jahren deutlich weniger erforscht. Damals war in Deutschland das Institut für Mikrobiologie an der Universität Mainz unter der Leitung von Prof. Klein ein Zentrum der Komplementforschung (u.a. mit den Professoren Loos, Hadding und Bitter-Suermann).

Neues Interesse gewann die Komplementforschung mit der Beschreibung von Gendefekten.
So ist die beim Menschen beschriebene Nephropathie der membranoproliferativen Glomerulonephritis verursacht durch einen Gendefekt von Faktor H, der die C3-Konvertase (siehe Folgekapitel) kontrolliert. Ein Faktor-H-Defekt resultiert in einer unkontrollierten Aktivierung von Komplementfaktor C3 an der glomerulären Basalmembran und zerstört diese. Eine vergleichbare Erkrankung wurde auch beim Hund beschrieben.

Die zentrale Bedeutung des Komplementsystems für akute und auch lebensbedrohliche, überschießende Entzündungsreaktionen im Kontext mit genetischen Defekten bilden eine attraktive Basis für einen neuen Forschungsschwerpunkt der Arbeitsgruppe um Prof. Baumgärtner zur Fortführung der Forschung an neuropathologischen Veränderungen bei tierexperimentell und klinisch hoch relevanten Viruserkrankungen, wie der Staupevirusinfektion beim Hund.

Das zunehmende Risiko zoonotischer Viruserkrankungen mit hohem akutem Krankheitspotential, wie auch chronischen Folgeerkrankungen verlangen nach aktualisierten innovativen Forschungsansätzen.

Die Stiftung fördert diese Forschung ab 2024 mit mehrjährigen Promotionsstipendien (PhD und Dr. med. vet) und plant den weiteren Aufbau eines Forschungsschwerpunktes zum Komplementsystem.

Das Komplementsystem

Schon vor mehr als 100 Jahren hat der Immunologe und spätere Nobelpreisträger Paul Ehrlich die Grundfunktionen und Klassen der Antikörper definiert. Er hat damit die humorale Immunantwort als einen wesentlichen Teil der Abwehr von Infekten, vor allem von Viren und Bakterien, erkannt. Bei der Reaktion zum Nachweis von Antikörpern diente ihm die Lyse von Schaferythrozyten mit einem komplementierenden Serumfaktor, dem Komplement. Dieser wurde später als ein komplexes, hochwirksames, proinflammatorisches System beschrieben. Ein Antikörper        erkennt immunologisch hoch spezifisch sein Antigen (z.B. Viren oder Bakterien), während das Komplementsystem eine immunologisch vermittelte Effektorfunktion erfüllt und vielfältige Entzündungsvorgänge auslöst. Noch heute wird die Aktivität des Komplementsystems anhand der Freisetzung von Hämoglobin aus Erythrozyten bestimmt.

Das Komplementsystem besteht aus Proteinen, sogenannten Zymogenen, die eine Enzymkaskade, ähnlich der Blutgerinnung inklusive Fibrinolyse und Kininsystem, bilden.
Final entsteht ein ringförmiger Komplex an der Oberfläche des Antigens, der Zellmembranen zerstören kann.

Durch die proteolytischen Spaltungen entstehen hochaktive Intermediärprodukte, die lokal und systemisch akute Entzündungen auslösen.

Die Aktivierung des Komplementsystems wird heute in drei Funktionsbereichen beschrieben.

  1. Die sogenannte klassische Aktivierung wird durch den aktivierten Antikörper eingeleitet. Mit der Erkennung seines Antigens über seine insgesamt zwei Bindungsstellen in den Fab-Fragmenten erfolgt im Fc- Teil eine Konformationsänderung. Diese führt zur sequenziellen Aktivierung von C1 über C1q, C1r und C1s. Danach bildet sich die C3-Konvertase, die das Massenprotein des C-Systems C3 spaltet und die Folgeenzyme und proinflammatorischen Mediatorproteine aktiviert.

Sowohl Antikörper der Klasse IgM als auch IgG wirken komplementaktivierend. Dabei werden IgM-Antikörper besonders schnell nach einer Immunstimulation gebildet und sind somit als erste Antikörper im Blut zu finden. Im Gegensatz dazu wirken IgE-Antikörper, die unter anderem an anaphylaktischen Reaktionen beteiligt sind, sowie die zur Schleimhautimmunität beitragenden IgA-Antikörper nicht komplementaktivierend.

  1. Die Komplementaktivierung über Lektine mit dem Mannose-bindenden Lektin verläuft ebenfalls über den C1q-C1r-C1s-Komplex. Dieser Aktivierungsweg schützt vor einer Reihe von Pathogenen.

Beide oben genannten Wege  bilden über C4b und C2a ein C4b2a-Heterodimer, welches die C3-Konvertase des klassischen Weges bildet.

3. Die alternative oder Properdin-Aktivierung des Komplementsystems aktiviert direkt das labile C3 Protein. Properdin schützt den Organismus gegen verschiedene Infektionserreger.

In der Konsequenz ist allen Aktivierungswegen gemeinsam, dass sie zur Spaltung von C3 in C3b durch eine C3-Konvertase führen. Nur durch die Bindung an eine Membran bleibt C3b aktiv, andernfalls kann es durch CD46 wieder inaktiviert werden. Das membrangebundene C3b ist ein hochwirksames Opsonin, d.h. es fördert die Phagozytose des Antigen-Antikörper-Komplexes durch Leukozyten und Makrophagen.

Das niedermolekulare C3-Spaltprodukt C3a und ebenso das Folgeprodukt C5a werden als Anaphylatoxine bezeichnet und vermitteln hochaktiv akute Entzündungen durch eine Erhöhung der Gefäßpermeabilität, die Kontraktion glatter Muskulatur, Attraktion von Leukozyten und Makrophagen und deren Modulation mit Bildung weiterer, proinflammatorischer Botenstoffe. C4a gilt als unbedeutend.

Die von Prof. Ernst Friedberger bereits im frühen 20. Jahrhundert nachgewiesene schockauslösende Wirkung beim Meerschweinchen hat zu der irreführenden Bezeichnung dieser Moleküle als Anaphylatoxine geführt. Erst viel später wurden die breit entzündungsvermittelnden Funktionen für C3a und C5a beschrieben.

Ziel der C3-Aktivierung ist die Bildung des zytolytischen C9-Komplexes, auch als Membran-Angriffs-Komplex- (MAK) bzw. Membrane-Attack-Complex (MAC) bezeichnet.

Dieser biologisch außerordentlich wirkstarken proteolytischen Enzymkaskade stehen Kontrollmechanismen und Inhibitoren entgegen, welche den Organismus jedoch nicht immer vor schweren, systemischen Entzündungen schützen können.

Die Antigen-Antikörper-Reaktion des klassischen Weges der Komplement-Aktivierung wird bereits bei der Antikörperbildung durch die zelluläre Immunität kontrolliert. Dies wird auch bei Autoimmunerkrankungen deutlich.

Der C1-Inhibitor kontrolliert die Startreaktion zwischen Antigen und aktiviertem Antikörper. Gendefekte dieses Inhibitors können zum hereditären angio-neurotischen Ödem führen.

Ein potenter Komplementinhibitor ist Faktor-H, der die C3-Konvertase kontrolliert. Bei einem Gendefekt zerstört die Überaktivierung von C3 die glomeruläre Basalmembran und die Bruch-Membran des Auges.

Faktor-I aktviert das großmolekulare Spaltprodukt von C3 – C3b – und verstärkt die hemmende Funktion von Faktor-H. Des Weiteren kann Faktor-I auch mit dem fibrinolytischen Plasminogen interagieren.

Des Weiteren ist das Membranprotein CD46 als wichtiger Inhibitor des Komplement-Systems zu nennen. Dieses ubiquitär exprimierte, protektive Protein fungiert als Co-Faktor von Faktor-I und inaktiviert mit diesem zusammen C3b.

DAF (Decay Accelerating Factor), auch CD55 genannt, blockiert die C3-Konvertasen des klassischen und alternativen C-Aktivierungsweges. Außerdem hemmt DAF die Anlagerung des zytolytischen Membran-Angriff-Komplexes.
Vergleichbare Oberflächenproteine schützen viele Parasiten vor der Komplement-Aktivierung.

Der Schwerpunkt der Arbeitsgruppe von Prof. Baumgärtner erweitert die bisherigen Forschungsthemen mit Untersuchungen zum Komplementsystem bei veterinärmedizinisch relevanten Themen wie beispielsweise der Pathogenese der Staupevirus-Enzephalitis des Hundes und experimentellen Infektionskrankheiten mit Modellcharakter für die Veterinär- und Humanmedizin.